Inspiration und Entstehung
Eine Gebetwache im heiligen Grab von Jerusalem
Das ausserordentliche Kirchengebet für Versöhnung, Einheit und Frieden ist die Frucht einer Gebetswache, die am Samstag, den 19. November 2005 zwischen 19 Uhr und 23 Uhr in der Basilika des Heiligen Grabes in Jerusalem, dem Ort des Todes und der Auferstehung Christi, stattgefunden hat. An jenem Abend hatten sich einige Laien nicht ohne Schwierigkeiten den Vertretern von zwei italienischen Mönchsgemeinschaften angeschlossen, die samstags immer in den Heiligen Stätten zugegen sind.
Die Wache an diesem für den christlichen Glauben so bedeutungsvollen Ort war ein Augenblick inständigsten und tiefsten Gebetes und ausserordentlicher Ergriffenheit. Die Liebe Christi auf dem Golgotha war der offenen Seele gnadenweise gegenwärtig, ihre allmächtige Kraft und überwältigende Zärtlichkeit, die alles Verstehen können übertrifft und alles Leiden verklärt. Vor der Liebe Christi am Kreuz steigt die Frage auf: „Tod, wo ist dein Sieg?“. Die Liebe Christi überflutete die Seele, erfüllte die ganze Basilika und weit über sie hinaus.
Nach dem Verlassen des Heiligen Grabes begleitete einer der Mönche die Laiengruppe, die den Weg nicht kannte, zu ihrem Hotel zurück. Auf dem Weg durch die Jerusalemer Altstadt tauschten sie ihre übereinstimmende Einsicht aus : die dringende Notwendigkeit eines grossen Fürbittegebetes der ganzen Kirche, eines dauerhaften und eindringlichen Gebetes, das aus dem Herzen der Christen kommt. Noch auf dem Weg fanden sie gemeinsam drei Gebetsanliegen, die weiter unten dargelegt werden. Obwohl sie sich erst seit einigen Stunden kannten, verabschiedeten sich der Mönch und die Laien hinter der Stadtmauer wie sehr alte und gute Freunde. Sie kamen überein, dass die Verabredung dieses Abends um 19h im Heiligen Land an allen Samstagen beibehalten werde, dass mindestens eine gemeinsame Gebetsstunde den drei Anliegen gewidmet werden sollte.
Seit dem 19. November sind die Mitglieder der Gruppe diesem Gebet treu geblieben, wo immer sie sich auch befinden ; das Gebet lebt in ihrem Herzen und ist fruchtbar. Andere haben sich ihnen sehr rasch angeschlossen. Sie tun wenig, denn wenn sie handeln, handelt eine Kraft in ihnen an ihrer Stelle. So begann das Gebet sich zu verbreiten.
Inspiration der Gebetsabsichten
Es ist vor allem das Fürbittegebet der ganzen Kirche für den Frieden, der die Kräfte der Menschen übersteigt (Joh. 14, 27), das als dringlich notwendig empfunden wird; der Friede in Jerusalem, im Heiligen Land, im Nahen Osten, (wo der Friede unerreichbar scheint), aber auch der Friede innerhalb der Kirche. Der mangelnde Frieden im Innern der Kirche, ihre seit Jahrhunderten anhaltenden Spaltungen ist nicht nur ein Gegenzeugnis zur Botschaft Christi, sondern vor allem eine negative geistige Realität. Diese schwere, gemeinsame Sünde schwächt die Kirche vor dem Bösen und mit ihr die Welt.
Ein grosses Fürbittegebet drängt sich auch auf vor der Unfähigkeit Jerusalems, ihre wesentliche Berufung als „Stadt des Friedens“ und „Frieden der Gerechtigkeit » wahrzunehmen, sie, die diese Namen von Gott bekommen hat (Ez. 29 : 5,4). Die Heilige Stadt müsste eine Werkstatt des Friedens und der Einheit sein, sie erscheint heute im Gegenteil als eine Stadt der (oh wie breiten) Mauern, eine Stadt der Spaltungen. Die Mutterkirche, « die Mutter aller Kirchen », die in Jerusalem unter der Ausgiessung des heiligen Geistes entstanden ist, hat die vorzügliche Aufgabe, einen neuen Weg der Einheit einzuschlagen. Nirgends sonst sind in der Tat alle Christen auf so kleinem Raum gemeinsam zugegen und imstande, sich physisch leicht zu begegnen und miteinander zu sprechen, Dialog zu führen, sich kennen, schätzen und lieben zu lernen und miteinander zu beten. Hat Christus nicht selbst Jerusalem als den Ort bezeichnet, wo die Apostel « den Heiligen Geist erwarten » sollten und « ausgehend von dem » die Kirche ihren Weg beginnen sollte (Luk. 24, 47) ?
Eine dritte starke Einsicht betrifft den Wunsch, dass sich die Einheit wesentlich in der Gebetskommunion ausdrücke. Das ist eine vorrangige geistige Wahrheit. Gleichzeitig miteinander beten und das Gleiche feiern, zu einer gleichen Gebetszeit in Verbundenheit mit unserem Gott vereinigt zu sein, bedeutet eintreten in die Dimension der Ewigkeit, die uns vom Bösen befreit. Es ist darum sehr wichtig, dass die Christen die Feier der christlichen Feste, allen voran des Osterfestes, des Festes unserer Hoffnung, vereinheitlichen, damit diese Einigkeit und diese befreiende geistige Realität in der Kirche wieder neu auflebe. Welch ein Gebet wird das sein, wenn die im Heiligen Geist ganz einmütige Kirche aus einem Herz und mit einer Stimme ihren Schöpfer feiern wird!
Die drei Absichten des ausserordentlichen Gebetes drücken die drei gemeinsamen und übereinstimmenden Einsichten aus. Sie sind „Ausgangspunkte“ für die grossen Anliegen der Versöhnung, der Einheit und des Friedens. Sie entspringen der Gewissheit, dass wir vor Zielen, die zu hoch für uns sind, unsere Kräfte zusammenlegen müssen. Sie sind ein Glaubensakt in die göttliche Barmherzlichkeit, die unsere beschränkten Kräfte kennt. Sie beziehen eine prophetische und eine eschatologische Dimension mit ein, die immer wieder in den Heiligen Schriften für Jerusalem angekündigt wurden. Sie knüpfen an die Versprechungen Gottes an.
Die Inspiration von Johannes-Paul II. Und das Friednsgebet von Assisi
Das ausserordentliche Kirchengebet für Versöhnung, Einheit und Frieden stellt sich i die Nähe der Inspiration des grossen Friedensgebetes von Assisi, das Johannes-Paul II. ins Leben gerufen hat. Als er die Vertreter aller Weltreligionen zusammenrief, stützte er das Assisigebet auf die Überzeugung, dass grosse Gnaden von Gott gewährt werden, wenn den Handlungen der Menschen besonders inständige, von vielen getragene Gebete vorausgehen. Das Gebet für Versöhnung, Einheit und Frieden teilt mit dem Assisigebet die Überzeugung, dass das intensive Fürbittegebet aller Gläubigen grosse Wirkkraft hat und, sie teilt mit ihm das wesentliche Anliegen des Friedens.
Der Gedanke, dass Jerusalem ihrer Berufung „als Friedensstadt“ nachkommen sollte, ist übrigens einer der Leitgedanken von Johannes-Paul II. : „Im Hinblick auf das kommende Jubiläumsjahr möchte ich auf den ganz einzigartigen Platz hinweisen, den Jerusalem im Herzen der Gläubigen einnimmt. Die Heilige Stadt, Mittelpunkt der christlichen Welt, aber auch gemeinsames Erbe aller monotheistischen Gläubigen, möge für alle Menschen guten Willens ein Kreuzweg des Friedens, ein leuchtendes, von Gott kommendes Friedenszeichen sein! Möge diese einzigartige Berufung der Heiligen Stadt über die ganze Region hinausleuchten, mögen die katholischen Gläubigen ihre grosszügigen Zeugen, ihre eifrigen Wortträger und vor allem wirkliche Friedensbauer sein.“
In Assisi war man infolge der verschiedenen religiösen Gegebenheiten beisammen, um zur gleichen Zeit zu beten, die Christen können hingegen miteinander beten, zur gleichen Zeit, in einmütigem Teilen des gleichen Glaubens an den Gott von Jesus Christus.
Erste Entwicklungen
Das Gebet für Versöhnung, Einheit und Frieden hat seit Dezember 2005 dank der spontanen Teilnahme von neuen Personen Gestalt angenommen. In der Weihnachtsnacht 2005 ermunterte der apostolische Nuntius bei den Vereinigten Nationen die kleine Gruppe mit den Worten: “ Ihr da, hört auf keinen Fall auf zu beten!” Im Frühling 2006 kündigte ein in Jerusalem anwesender Kardinal seine private Teilnahme am Gebet an, indem er “die Dringlichkeit des Fürbittegebets” hervorhob. Im Oktober 2006 erhielt die Initiative die Unterstützung von Catholica Unio Internationalis, eine Organisation des Heiligen Stuhles, die Hilfsaktionen für die katholischen und nicht-katholischen Kirchen des Ostens durchführt und ihrer Schwesternorganisationen Oeuvre d’Orient, CNEWA und Pro Oriente, die alle an der Generalversammlung von Catholica Unio in Salzburg zugegen waren. Anfangs Januar 2007 wurde das Projekt in Jerusalem, am Gethsemani ausformuliert und erhielt die Form des jetzigen Vorschlages. Ein Franziskanerpater, ein Biblist und später ein Theologe haben dabei mitgewirkt. Dann wurde das Projekt den Mitgliedern der katholischen Bischofskonferenz des Heiligen Landes unterbreitet, die während der Gebetswoche für die Einheit der Christen im Januar 2007 in Nazareth weilten. Es wurde zur gleichen Zeit von einer wichtigen, kirchlichen Autorität von Jerusalem informell unterstützt. Ab März 2007 wurde es katholischen und nicht-katholischen Kirchenvertretern des Westens und des Ostens zur Einsicht und Stellungnahme unterbreitet. In diesem Zusammenhang wurden zahlreiche Ermunterungen für die Verbreitung des Gebetes ausgedrückt und es wurde betont, dass ”man im Osten für diese Gebetsanliegen tief empfänglich war, vor allem auch die Jugend”. An Ostern 2007 haben sich mehrere in Jerusalem ansässige gemeinschaften dem Gebet angeschlossen. Die einen fühlten sich motiviert durch die “Schönheit der Anliegen”, die andern fanden, “dass man in Jerusalem nicht mehr genug bete”. Kurz darauf erklärte eine vor 17 Jahren von einer jüdischen Frau, die Christin geworden ist, gegründete Gebetsgruppe, sich dem Samstagsgebet anschliessen zu wollen. Andere religiöse Gemeinschaften oder Vertreter von ihnen, Theologen und Geistliche anderer Kirchen melden im Verlauf der Wochen ihr Interesse für das Gebet an und es gibt immer neue Möglichkeiten, das Gebet bekannt zu machen. Das Projekt wurde mit Hilfe von Freiwilligen, die sich spontan zur Verfügung stellten, schon in mehrere Sprachen übersetzt.
Ein grosses Fürbittegebet für unsere Zeit, offen für alle
Die Anliegen des aussergewöhnlichen Kirchengebets sind ein Ausgangspunkt. Das Ziel des Gebetes sind die Versöhnung, die Einheit und der Friede innerhalb der Kirche und auf der Welt, der Friede auf der Welt durch die Kirche.
So wird der ganzen Kirche ihre Aufgabe wieder bewusst gemacht, so wie Christus es gewollt hat. Die Hoffnung, die sich auf die Versprechungen und Prophezeihungen betreffend die Heilige Stadt stützt erstreckt sich auch darauf, dass ihre Verwirklichung in Jerusalem ihre Verwirklichung auf der Welt zur Folge hat.
So möchte das ausserordentliche Fürbittegebet in einer weiteren Sicht ein Fürbittegebet für unsere Zeit sein, ein Gebet, das unter dem Einfluss des Heiligen Geistes spontan in den Herzen der Christen entsteht. Es ist ein grundlegend frohes Gebet, da die Teilnehmer, der Natur des Gebetes entsprechend, an der Einheit teilnehmen, die von Christus gewollt (Joh. 17,21) und Quelle der Freude ist. Es ist offen und möglich für alle, denn es reicht, am Samstag um 19 Uhr im Heiligen Land oder um 18 Uhr Lokalzeit daran zu denken und teilzunehmen, sei es auch nur eine Minute. Das Wichtigste ist, dass alle Christen aus einmütigem Herzen daran teilnehmen.